Freitag, 11. November 2022

Tiefs

 



Es gibt tausende, die an Depressionen leiden und wahrscheinlich auch tausende verschiedene Arten, wie sich diese bemerkbar machen und verlaufen. 

Ich möchte einmal versuchen zu beschreiben wie diese Schübe/Phasen bei mir sind. Manchmal kündigen sie sich schon Tage vorher an, manchmal kommen sie quasi über Nacht oder im Laufe des Tages. Deshalb sind diese Phasen auch so unberechenbar. 

Wie ist das nun bei mir?

Samstags morgens aufwachen und zu nichts Lust haben, kennt wohl jeder. Sich nur widerwillig vom Bett zur Couch schleppen, natürlich mit einem kleinen Umweg zur Kaffeemaschine, ist auch noch nichts ungewöhnliches. Auf der Couch abhängen, bis der Kaffee endlich mal fertig ist. Obwohl er zu meinem täglichen Lebenselexier gehört, fällt es schwer, sich aufzuraffen, um die Kanne zu holen. Unbewusst bringe ich mir auch schon Sachen und Dinge mit, die ich wohl für den Tag gebrauchen könnte. Im Kopf heißt es dann nur noch, bloß nicht wieder hoch von der Couch. Versorgt mit allem "wichtigem" wird sich auf der Couch eingerichtet. Die Laune und Lust befindet sich weiter im Sinkflug. Mein morgendliches Ritual, um den Kopf in Schwung zu bringen, am Tablet ein paar Denkspiele machen, fällt schwer. Trotzdem ziehe ich das durch...Mache ich ja immer...irgendwann bleibt ich beim Solitär hängen. Schiebe die Karten nur noch planlos hin und her. Und habe die ersten drei, vier Stunden des Tages schon geschafft. 

Auf Social Media, habe ich auch keine wirkliche Lust und keinen Nerv, aber es ist für diese Zeit der Kontakt zur Außenwelt. Also setze ich meine digitale Maske auf, mache hier und da einen Post, verteile meine Likes und scrolle mich durch das Leben der anderen. 

Immer noch ist der Kopf komplett leer, ich stecke mir die Kopfhörer in die Ohren.

Musik an, Welt aus!

Es läuft eher düstere, ruhige Musik. Urplötzlich fängt der Kopf an zu arbeiten. Gedanken rasen in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit durch den Kopf. Verarbeiten kann ich diese Gedanken nicht, denn schon kommen die nächsten und ich sitze in meinem eigenen Gedankenkarusell, ob ich das nun möchte oder nicht. Immer wieder kreisen sie um das Thema, dass einen die letzten Tage, Wochen, Monate, Jahre beschäftigt. Innerlich stelle ich mir Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Das macht einen zu schaffen, macht einen innerlich fertig und kaputt. Ich merke, wie der Kloß im Hals immer größer wird und möchte einfach nur den Tränen ihren Lauf lassen. Doch es geht nicht. Der Kloß wird heruntergeschluckt, und weiter geht die wilde Fahrt. 

Mit einem Auge schaue ich aus dem Fenster, 'Oh, blauer Himmel und Sonne! Ich könnte ja rausgehen. Ans Wasser fahren.'

Ach nee, dazu müsste ich ja von der Couch hoch, anziehen, mich aufraffen. Die Sonne kommt auch an den nächsten Tagen oder in den nächsten Wochen mal wieder. Sie wird auch ohne mich scheinen.

Es ist kurz nach zwei...Einen Kaffee hatte ich schon, frühstücken lohnt jetzt auch nicht mehr. Ich leg mich also gemütlicher hin und versuche mich dem Team Mittagsschlaf anzuschließen. Mehr als ein herum wälzen und dösen wird es aber nicht, dafür fährt das Karussell einfach zu schnell. Ich schaue auf die Uhr, erst 20 Minuten sind vergangen und noch soviel vom Tag übrig. 

Ich könnte ja doch noch mal raus. Das Aufstehen fällt richtig schwer. Ich schlurfe ins Schlafzimmer, auf dem Weg dahin (4 Meter!) kommen dann schon die Zweifel, ob es sich wirklich noch lohnt. Anziehen, fertig machen, wohin überhaupt? Ganz schön viel auf einmal...körperlich fühle ich mich auch nicht wirklich fit, gegessen hab ich auch nichts...Dieser kurze Anflug von Lust ist dann auch wieder schnell vorbei. Also, TV an und auf die Couch. Da kenne ich mich wenigstens aus. Im TV kommt natürlich nichts, und selbst wenn was interessantes laufen würde, aufnahmefähig wäre ich eh nicht. Es wird dann nach irgendwelchen Dokus gesucht, nur damit im Hintergrund irgendwas läuft. Irgendwie befinde ich mich in einem Dämmerzustand. Hin und wieder fallen doch die Augen zu. Hier mal 20 min da mal ne dreiviertel Stunde. Aber nichts durchgängiges. Irgendwann ist es dann auch gegen 6. Von den Fußballspielen am Nachmittag habe ich so gut wie nichts mitbekommen, also mal auf Sportschau zappen. Aber wirkliches Interesse sieht anders aus. Und das bei mir als Ultrafan. 

Bis auf das, was ich mir morgens mitgebracht habe, hatte ich im Laufe des Tages noch nichts weiter gegessen. Gesund ist bestimmt was anderes, aber was soll's. Um jetzt noch in die Küche zu gehen, fehlt mir die Kraft und Energie. Also, bleiben Couch und Gedankenkarusell meine abendlichen Begleiter. Hat ja auch den Tag über ganz gut funktioniert. Irgendwann zwischen neun und zehn schleppe ich mich dann, komplett kaputt und gedanklich ausgepowert ins Bett. An Schlafen ist aber trotzdem noch lange nicht zu denken. Immer wieder tauchen alte und neue Gedanken auf und ich wälze mich einfach nur im Bett hin und her, bis auch der letzte Tropfen Energie aus dem Körper heraus ist und ich doch noch einschlafe. 

Der folgende Sonntag verläuft dann in gleicher oder ähnlicher Weise ab, mit dem Unterschied, dass ich mich Abends bereits dazu zwinge, mir meine Maske für den nächsten Arbeitstag bereitzulegen. Es darf ja keiner mitbekommen wie es mir, wie es in mir wirklich aussieht. 

Mit einem bisschen Glück ist die Phase Dienstag oder Mittwoch, durch die Ablenkung und Bewegung weg. Mit Pech trage ich die Maske auch ein paar Tage länger.

Die Beschreibung einer meiner Phasen bezieht sich auf die innere Einstellung, in der ich diese Phasen absichtlich zulasse. Auch wenn ich da nicht wirklich viel mache, kosten sie unglaublich viel Kraft und Energie. 

Hin und wieder muss ich diese Qual aber haben, warum, weiß ich gar nicht so genau. 

Natürlich versuche ich auch mit meinen Skills dagegen anzukämpfen, wenn ich merke, da bahnt sich was an. Ich werde aktiv, gehe raus, wandern, versuche irgendwas zu fotografieren. Manchmal funktioniert es, manchmal aber auch nicht. Ich kann noch nicht einmal sagen, ob es mir leichter fallen würde, wenn jemand da wäre, um mir in diesen Phasen zu helfen, weil ich es nicht kenne. Was ich aber weiß, ist, dass es hilft eine vertraute Stimme zu hören, oder eine aufmunternde Nachricht zu lesen. 

Nach den fast 10 Jahren habe ich gelernt damit zu leben und weiß, daß diese Phasen immer wieder kommen, aber auch wieder gehen. 

Und wenn nicht? Dann weiß ich, wo ich Hilfe bekomme. 

Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick geben, wie so ein Tief bei mir aussieht, und welche Kraft solche Tage kosten. Innere und auch körperliche Kraft. Zweimal war ich an dem Punkt, wo ich dann keine Kraft mehr hatte und habe mir ärztliche Hilfe gesucht.

An diesen Punkt möchte ich nie wieder zurück, also wird weiter im Stillen gekämpft!



 




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